DeutschHuman Resources

Mentoring – Austausch mit Gewinn

Mentoring ist ein effizientes Mittel in der Personalentwicklung, auch in Zeiten von New Work lässt es sich erfolgreich einsetzen. Was versteht man unter Mentoring, wie kann man es von anderen Methoden wie Coaching oder Patensystemen unterscheiden? Welche Vorteile bringen Mentoring-Programme und was bewirken Sie? Autorin Prof. Dr. Alexandra Michel hat uns darüber im Gespräch wertvolle Informationen gegeben.

Mentoring auch für Frauen wichtig Ältere erfahrene Arbeitnehmerin erklärt jüngerer Arbeitnehmerin etwas an einer Maschine Bild: Shutterstock / Mangostar

Was versteht man unter Mentoring?

Aus meiner Perspektive ist das der Austausch zwischen zwei Personen – wobei es auch mehr Personen sein können – die sich in ihrem Erfahrungsgrad unterscheiden bezüglich einer bestimmten Rolle oder einer Tätigkeit. Mentoring kommt ursprünglich aus der griechischen Mythologie. Odysseus bat seinen Freund Mentor, seinem Sohn Telemachos während seiner Reisen und Abwesenheit als väterlicher Freund und Berater zur Seite zu stehen.

Man unterscheidet zwischen formellem und informellem Mentoring. Während informelles Mentoring in der Forschung teilweise als effektiver gilt, gibt es gute Gründe für strukturierte Mentoringprogramme. Gerade für Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, mit Migrationshintergrund oder für Frauen, denen der Zugang zu Netzwerken oftmals aufgrund der sogenannten gläsernen Decker erschwert ist, bieten solche Programme wertvolle Unterstützung. Sie ermöglichen die Gestaltung gezielter Mentoring-Beziehungen, sei es durch Bewerbungsverfahren oder über Plattformen, die passende Kontakte vermitteln.

Inzwischen geht die Entwicklung über klassische Mentoring-Modelle hinaus. Ein moderner Ansatz ist die Förderung von Netzwerken, in denen sich Gleichgesinnte gegenseitig unterstützen und zugleich mit erfahrenen Personen in Kontakt kommen. Besonders im wissenschaftlichen Umfeld gibt es Programme, die Nachwuchswissenschaftler*innen zusammenbringen und durch Weiterbildungen, Kamingespräche oder Netzwerkveranstaltungen gezielt fördern. Ähnliche Konzepte finden sich in Organisationen zur Karriereförderung von Frauen oder in branchenübergreifenden Mentoring-Initiativen.

Neben dem klassischen Mentoring gewinnt Peer-Mentoring an Bedeutung, bei dem sich Personen mit ähnlichem Erfahrungsstand gegenseitig unterstützen. Ebenso verbreitet sich der Ansatz, dass Expertise unabhängig von Alter oder hierarchischer Position weitergegeben wird. So kann beispielsweise ein jüngerer Kollege oder eine jüngere Kollegin mit fundierten IT- oder KI-Kenntnissen als Mentor*in für andere dienen, die in diesem Bereich weniger versiert sind.

Wie unterscheidet sich Mentoring beispielsweise von Coaching oder Patensystemen?

Coaching bedeutet die professionelle Begleitung durch eine geschulte Person, die mithilfe spezifischer Methoden Klient*innen dabei unterstützt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder ein Problem zu lösen.

Mentoring hingegen verfolgt zwar ebenfalls das Ziel, Entwicklung zu fördern, basiert jedoch stärker auf dem Teilen persönlicher Erfahrungen. Mentor*innen geben Einblicke in ihren eigenen Werdegang, vermitteln Kontakte und teilen bewährte Strategien. In der Wissenschaft beispielsweise berichten Professor*innen ihren Mentees darüber, wie sie ihren Berufsalltag gestalten, Karriereentscheidungen treffen oder Familie und Beruf in Einklang bringen. Der Fokus liegt auf persönlichem Erfahrungswissen und einem vertrauensvollen Austausch.

Ein zentraler Unterschied liegt darin, dass Coaches in der Regel keine persönlichen Strategien weitergeben, sondern mit einem methodischen Werkzeugkasten arbeiten. Mentoring ist hingegen stärker durch individuelle Erfahrungen geprägt.

Daneben gibt es noch das sogenannte Patensystem, das sich von klassischen Mentoring- oder Coaching-Ansätzen unterscheidet. Ein Beispiel ist die Einarbeitung neuer Mitarbeitender in eine Organisation: Hier stellt eine erfahrene Person – oft ein*e direkter Kolleg*in – das Team vor, erklärt interne Abläufe oder hilft bei alltäglichen Fragen, etwa zur Nutzung von IT-Systemen oder zu wichtigen Ansprechpersonen. Dabei geht es weniger um das Weitergeben von Erfahrungswissen, sondern vielmehr um eine pragmatische Unterstützung im Arbeitsalltag.

Allerdings kann sich aus einer solchen Patenschaftsbeziehung mit der Zeit auch eine Mentoring-Beziehung entwickeln – insbesondere im informellen Rahmen. Der ursprüngliche Fokus bleibt jedoch meist auf der operativen Einarbeitung und weniger auf strategischer Weiterentwicklung.

Welche Effekte hat Mentoring auf Mentees, Mentor*innen und Organisationen?

Mentoring kann verschiedene Funktionen erfüllen, insbesondere im Bereich der Karriereförderung, der psychosozialen Unterstützung und der Vorbildfunktion. Es hilft Menschen dabei, ihre berufliche Entwicklung strategisch zu gestalten, sei es auf einem klassischen hierarchischen Karriereweg oder als Fachexperte*in. Während Führungskräfte in diesem Prozess eine Rolle spielen können, kann es sinnvoll sein, sich außerhalb der eigenen Organisation mit Mentor*innen auszutauschen, um neue Perspektiven auf mögliche Karriereschritte zu gewinnen.

Darüber hinaus trägt Mentoring zur psychosozialen Unterstützung bei, indem es vertrauensvolle Beziehungen schafft und das Netzwerk innerhalb einer Organisation erweitert. Der Austausch mit einer erfahrenen Person gibt Sicherheit, bietet Reflexionsräume und kann helfen, Herausforderungen besser zu bewältigen. Eine weitere wichtige Funktion liegt in der Vorbildrolle: Mentees haben die Möglichkeit, Mentor*innen in entscheidenden beruflichen Situationen zu beobachten – sei es bei Präsentationen, Verhandlungen oder strategischen Gesprächen. Dadurch können sie politische und taktische Fähigkeiten entwickeln, die für verantwortungsvolle Positionen essenziell sind.

Auch für Organisationen ist Mentoring ein wertvolles Instrument, um Talente gezielt zu fördern, Potenziale zu identifizieren und Diversität in Führungspositionen zu stärken. So gibt es beispielsweise Programme, die darauf abzielen, mehr Frauen für Führungsrollen oder Professuren zu gewinnen. Während in manchen Disziplinen bereits Fortschritte erzielt wurden, besteht in anderen weiterhin Handlungsbedarf.

Nicht zuletzt profitieren auch Mentor*innen selbst von der Mentoring-Beziehung. Durch das Teilen ihres Wissens erfahren sie Wertschätzung für ihre Expertise, übernehmen eine beratende Rolle und stärken ihre eigene Selbstwirksamkeit. Gleichzeitig gewinnen sie durch den Austausch mit Mentees neue Perspektiven, da diese oft Fragen oder Herausforderungen einbringen, die auf höheren Managementebenen nicht mehr präsent sind. Das kann wiederum wertvolle Impulse für strukturelle Verbesserungen innerhalb einer Organisation liefern. In all diesen Aspekten zeigt sich, dass Mentoring nicht nur eine einseitige Förderung ist, sondern eine wechselseitige Bereicherung für beide Seiten darstellt.

Welche Arten und Formen des Mentoring kann man unterscheiden?

Ich hatte ja schon die grundsätzliche Unterscheidung zwischen formellem und informellen Mentoring angesprochen. Formelle Mentoring Programme werden in Organisationen als Teil der Human Ressource Management-Strategie betrachtet, bei denen organisationale Rahmenbedingungen und Unterstützungsangebote geschaffen werden. Die Rollen werden vorab definiert, die Verantwortlichkeiten festgelegt. Beim informellen Mentoring finden sich Tandems ohne Unterstützung der Organisation, also z.B. bei Seminaren oder Netzwerktreffen, es sind oft eher zufällige und auf Sympathie fußende Verbindungen.

Zusätzlich zum klassischen Mentoring wurden noch weitere Formen entwickelt, hier wären zu nennen:

  • Reverse-Mentoring: Hier unterstützen jüngere Mitarbeitende, die beispielsweise sehr gut im Umgang mit neuen Technologien oder Social Media sind, ältere Kolleg*innen diese zu verstehen und gezielt bei ihrer Arbeit nutzen zu können.
     
  • Peer-Mentoring oder auch Co-Mentoring, Reciprocal-Mentoring oder Kollaboratives Mentoring: Hier geht es um gleichberechtigten Wissensaustausch zwischen Mentor*in und Mentee, es geht um voneinander lernen. Hier können z.B. auch Mentoring-Beziehungen auf der gleichen hierarchischen Ebene stattfinden.
     
  • Cross-Mentoring: Sind Mentoring-Beziehungen, die über Organisationsgrenzen hinweg gehen. Das bedeutet, dass verschiedene Organisationen ein gemeinsames Mentoring-Netzwerk bilden können. Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung: Ich bin Führungskraft an einer wissenschaftlichen Einrichtung und betreue als Mentorin zwei Wissenschaftlerinnen von unterschiedlichen Hochschulen.
     
  • Diversity-Mentoring: Diversity- oder Diverse-Mentoring ist eine häufig formelle Mentoring-Form, die darauf abzielt, Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion in Unternehmen zu fördern und ein integratives Arbeitsumfeld zu schaffen. Dabei werden die Mentoring-Paare oder -Gruppen gezielt so zusammengestellt, dass sie sich in bestimmten Diversitätsmerkmalen unterscheiden.

Mentoring kann auch gezielt zur Personalgewinnung und -auswahl eingesetzt werden. Im Rahmen des Pre-Hire-Mentorings unterstützen Mentor*innen einer Organisation berufstätige Studierende sowohl in ihrer Karriereentwicklung als auch in psychosozialen Aspekten. Dabei hat sich in Studien gezeigt, dass die psychosoziale Mentoring-Funktion besonders wichtig ist.

Zudem ist es entscheidend, Berufseinsteigern ein realistisches Bild der Organisation zu vermitteln, um Enttäuschungen und frühzeitige Kündigungen zu vermeiden.

Ist Mentoring grundsätzlich nur in einer 1:1-Konstellation denkbar oder gibt es auch eine Form, die für Gruppen möglich ist?

Viele Organisationen stehen vor der Herausforderung, nicht genügend erfahrene Personen als Mentor*innen zur Verfügung zu haben. Eine mögliche Alternative zum Cross-Mentoring besteht darin, dass ein*e Mentor*in mehrere Mentees gleichzeitig berät und begleitet. Zudem lassen sich Gruppen-Mentoring-Ansätze mit Konzepten wie der Kollegialen Beratung oder dem Peer- bzw. Reciprocal-Mentoring kombinieren.

Welches sind die klassischen Ziele eines Mentoring-Programms, könnten Sie dies hier noch einmal zusammenfassen?

Zum einen ist dies natürlich die Karriereförderung, also die persönliche und professionelle Entwicklung der Mentees, etwa auch bei der Förderung von Nachwuchskräften. Für Organisationen ist es wichtig, die Mitarbeitenden zu fördern und ihr Potential bestmöglich auszuschöpfen. Dies aber natürlich menschengerecht und gesundheitsförderlich zu gestalten, das ist auch ein wichtiger Punkt.

Ebenfalls eine wichtige Funktion ist das Wissensmanagement, die Frage, wie wichtige Informationen, wie Erfahrungswissen in der Organisation gehalten werden können. Natürlich gibt es auch Informationen, die man etwa in eine Datenbank fließen lassen kann, aber einiges lässt sich dann eben doch nur in einem persönlichen Treffen berichten.

Und, wie eben schon erwähnt, können Mentoring-Programme auch zum Recruiting dienen.

Wie kann man sich am besten auf eine Rolle als Mentor*in vorbereiten?

Meist gibt es dazu in Organisationen begleitende Maßnahmen, etwa Workshops und regelmäßige Austauschrunden. Supervisionen oder Kollegiale Fallberatungen sind ebenfalls denkbar. Wichtig ist dabei, dass ich in der Rolle einer Mentor*in quasi einen anderen Hut trage. Ich bin nicht Führungskraft der Person, nicht disziplinarisch verantwortlich. Ich begleite die*den Mentee, aber diese Person muss ihren Weg dann allein machen.

Eine gründliche Vorbereitung auf die Mentor*innenrolle ist essenziell. Trotz der angestrebten Beziehung auf Augenhöhe kann sich ein Erfahrungsgefälle entwickeln. Daher ist es hilfreich, dass Mentor*innen ihre eigenen Werte reflektieren, etwa mithilfe von Wertekatalogen. Diese können genutzt werden, um persönliche Erwartungen zu formulieren und in den ersten Gesprächen mit den Mentees abzugleichen.

Da Mentor*innen eine Vorbildfunktion übernehmen, beeinflussen sie unbewusst Aspekte wie Verlässlichkeit oder Gesprächsführung. Zudem sollte ihnen frühzeitig der zeitliche Aufwand bewusst gemacht werden – meist zwei bis drei Stunden in zwei bis dreimonatigen Abständen über ein Jahr. Eine gezielte Einführung, insbesondere zur Gesprächsführung und zum Rollenverständnis, trägt maßgeblich zum Erfolg des Mentorings bei.

Wie wichtig ist es, ein Mentoring-Programm zu evaluieren? In welcher Form könnte eine Evaluation stattfinden?

Das ist auf jeden Fall ein entscheidender Punkt. Man sollte eine Zwischenbilanz ziehen, unabhängig davon, ob es ein formelles oder informelles Mentoring ist. Es könnte bei einem formellen Mentoring z.B. einen Bilanzierungsworkshop geben nach einem halben Jahr, bei dem Mentees und Mentor*innen eine Zwischenbilanz ziehen und überlegen, ob etwas angepasst werden muss, das Ziel verändert werden muss, die Kommunikation angeglichen etc.

Wir haben im Buch dazu auch Formularvorlagen, sowohl zu einer Zwischenbilanz als auch ein Abschluss-Evaluationsbogen, einmal für Mentees und einmal für Mentor*innen. Diese Materialien stehen auch online zur Verfügung.

Man sollte aber auch systematisch prüfen, wie wirksam Maßnahmen wirklich sind – nicht nur direkt nach der Umsetzung per Evaluationsbogen, sondern auch langfristig. Bleiben Mitarbeitende im Unternehmen und übernehmen Führungspositionen? Wenn sie gehen, übernehmen sie hochwertige Positionen in anderen Organisationen? Das kann strategisch auch vorteilhaft sein, da Unternehmen zunehmend in Netzwerken denken.

Ein Beispiel: Wurde eine Maßnahme zur Förderung von Frauen in Führungspositionen umgesetzt, kann man analysieren, ob Teilnehmerinnen sich beworben und Positionen erhalten haben. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es wichtig: Mitarbeitende an die Organisation zu binden und zu fördern. Auch beim Recruiting kann geprüft werden, ob Mentoring-Programme erfolgreich neue Talente für das Unternehmen gewinnen.

Inwieweit lässt sich Künstliche Intelligenz im Mentoring einsetzen, gibt es hier bereits sinnvolle Einsatzmöglichkeiten? Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Es gibt Einsatzmöglichkeiten, allerdings muss der tatsächliche Nutzen noch wissenschaftlich belegt werden. Wir haben im Buch drei Einsatzmöglichkeiten aufgeführt:

Bedarfsanalyse: KI kann helfen, zukünftige Skill-Profile zu identifizieren und neue relevante Mentoring-Themen abzuleiten.

Matching-Optimierung: KI-Modelle analysieren verschiedene Kriterien wie Erfahrung, Karriereziele und Interessen, um Mentor*innen und Mentees passgenauer zusammenzuführen.

Prozessunterstützung: Chatbots begleiten das Mentoring, indem sie Reflexionsfragen generieren, Fortschritte verfolgen und an wichtige Schritte erinnern.

Meiner Meinung nach können aber die zentralen Funktionen des Mentorings nicht durch KI ersetzt werden. Der eigene Karriereweg muss selbst gestaltet werden – KI kann ihn nicht vorgeben, sondern höchstens dabei helfen, Strategien zu entwickeln, indem sie Wissen strukturiert oder Empfehlungen gibt. Doch das Lernen von einem Mentor oder einer Mentorin bleibt essenziell. Ebenso kann KI keine vertrauensvolle, persönliche Mentoring-Beziehung aufbauen, da dieser Austausch auf menschlicher Interaktion beruht. Auch die Vorbild- und Netzwerkfunktion eines Mentors kann KI nicht übernehmen. Persönliche Kontakte und die aktive Einbindung in ein Netzwerk bleiben Aufgaben, die nur durch direkten Austausch zwischen Mentor*in und Mentee erfolgen können.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Prof. Dr. Alexandra Michel

Prof. Dr. Alexandra Michel ist Wissenschaftliche Leiterin des Fachbereichs ‚Arbeitswelt im Wandel‘ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und außerplanmäßige Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg. Zusätzlich ist Alexandra Michel systemische Therapeutin/Beraterin und besitzt mehrjährige Berufserfahrungen als Human Ressource und Change Manager sowie als Coach. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Themenfeldern Gesundheitsförderung bei der Arbeit, Gestaltung organisationaler Veränderungsprozesse und der Evaluation von ressourcenorientierten Interventionen sowie Coaching im Arbeitskontext. Sie hat ihre Forschung in führenden Fachzeitschriften publiziert (z. B. Journal of Applied Psychology, Journal of Organizational Behavior, Journal of Occupational and Organizational Psychology, Journal of Occupational Health Psychology, Work & Stress) und ist Mitglied verschiedener Editorial Boards, Herausgeberin sowie Autorin mehrerer Bücher.