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Brücken zwischen Alt und Jung: Wissensaustausch als Schlüssel zum Erfolg

Von Laura Rinker.

Der demografische Wandel stellt deutsche Unternehmen vor neue Herausforderungen. Aktuelle Einschätzungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft aus Oktober 2024 verdeutlichen das Ausmaß: Bereits mehr als drei Millionen „Babyboomer“ haben das gesetzliche Rentenalter erreicht und bis 2036 werden weitere 16.5 Millionen folgen. Neben dem oft diskutierten Fachkräftemangel droht in diesem Zusammenhang ein weiteres gravierendes Problem – der Verlust von jahrzehntelang aufgebautem Wissen, auch „Pension Brain Drain“ genannt. 

Wissensaustausch Wissenstransfer zwischen Alt und Jung Babyboomer Ruhestand zufriedene diverse Gruppe alt und jung Foto: Shutterstock / Rawpixel.com

Der einzige Ausweg scheint zunächst, Wissen und Expertise vor dem Renteneintritt weiterzugeben. Doch dies allein greift zu kurz: Ältere Mitarbeitende müssen zugleich stetig dazulernen, um mit der schwindenden Halbwertszeit von Wissen Schritt zu halten und bis zu ihrem Berufsende auf dem neuesten Stand zu bleiben. Diese Doppelrolle – als Gebende und Nehmende von Wissen – stellt eine besondere Herausforderung dar. Auch die jüngeren Kolleginnen und Kollegen sind darin gefordert: Sie müssen nicht nur das von den Älteren weitergegebene Wissen aufnehmen und verarbeiten, sondern auch aktiv ihr aktuelles Know-how aus Ausbildung und Studium einbringen. So entsteht ein dynamisches Wechselspiel, bei dem beide Seiten voneinander profitieren können.

In den vergangenen Jahrzehnten hat der Wissensaustausch zwischen verschiedenen Altersgruppen beachtliches Interesse in der Forschung geweckt. Heute lassen sich aus diesen Erkenntnissen wertvolle Strategien ableiten, wie ein solcher Austausch zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitenden erfolgreich gestaltet werden kann. 

Die Mischung macht's: Was ältere und jüngere Mitarbeitende in den Wissensaustausch einbringen

Der Wissensaustausch zwischen Jüngeren und Älteren lebt von der Unterschiedlichkeit der Beiträge, die jede Altersgruppe einbringen kann. Diese ergänzen sich nicht nur, sondern entfalten ihre volle Wirksamkeit erst im Zusammenspiel – getreu dem Prinzip: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

So sind ältere Mitarbeitende Wächter der Schatzkammern ihres Erfahrungswissens. Sie kennen zum Beispiel die internen Abläufe in Organisationen, durchblicken ungeschriebene Regeln und haben oft tiefe Einblicke in die Unternehmenskultur. Darüber hinaus bringen sie industriespezifisches Wissen mit, das sie durch langjährige Erfahrung in einer bestimmten Branche oder Position erworben haben. So weiß etwa eine langjährige Projektmanagerin genau, wie man in schwierigen Verhandlungen mit langjährigen Partnern das richtige Gleichgewicht findet. Gleichermaßen kann ein Techniker seine Maschinen ohne Handbuch reparieren, weil er sie seit Jahrzehnten betreut und historisch gewachsene Eigenheiten in- und auswendig kennt. Dieses Wissen – oft schwer in Worte zu fassen und daher nicht dokumentiert – ist für Unternehmen unschätzbar, da es vielfach auf individuellen Erfahrungen beruht, die in keiner Anleitung oder Datenbank festgehalten sind.

Jüngere Kolleginnen und Kollegen hingegen bringen unter anderem aktuelles Fachwissen und unvoreingenommene Perspektiven mit. Diese Offenheit ermöglicht es ihnen, Problemlösungen ohne Vorurteile oder eingefahrene Denkmuster zu entwickeln. Denken wir an eine Junior-Marketing-Managerin, die durch ihre Social-Media-Expertise nicht nur neue Zielgruppen erschließen kann, sondern auch innovative Kampagnenansätze entwickelt, die traditionelle Methoden hinterfragen. Oder an einen frisch ausgebildeten Ingenieur, der bei der Optimierung von Produktionsprozessen nicht an bestehende Systeme gebunden ist und so nachhaltige Alternativen vorschlägt, die den Wandel in der Branche vorantreiben. Diese Mischung aus frischen Ideen und aktueller Expertise ist eine wertvolle Ergänzung zu den erprobten Erfahrungen der Älteren.

Gemeinsam stärker: Die Früchte des Wissensaustauschs

Wenn Wissen erfolgreich zwischen Altersgruppen ausgetauscht wird, profitieren alle Beteiligten auf unterschiedlichen Ebenen. Für das Individuum zeigt sich dies etwa durch die Möglichkeit, neu erworbenes Wissen im Arbeitsalltag anzuwenden und daraus innovative Lösungen zu entwickeln. Viele Mitarbeitende berichten zudem von einer gesteigerten Motivation und einem höheren Engagement, das durch den Austausch entsteht. Die Zusammenarbeit fördert auch ein proaktives Verhalten und stärkt die Beteiligung im Team.

Darüber hinaus kann der Wissenstransfer helfen, grundlegende Bedürfnisse wie Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit zu erfüllen. Dies trägt maßgeblich dazu bei, dass sowohl jüngere als auch ältere Mitarbeitende länger im Unternehmen bleiben möchten. Interessanterweise ergänzen sich die Auswirkungen des Austauschs zwischen den beiden Gruppen: Während jüngere Mitarbeitende sich besonders erfüllt fühlen, wenn sie neues Wissen aufnehmen und anwenden können, erleben ältere Kolleginnen und Kollegen Erfüllung darin, ihr Wissen weiterzugeben und zu sehen, wie es genutzt wird. Diese Wechselwirkung schafft eine Dynamik, bei der beide Seiten gleichermaßen profitieren und ihre Stärken einbringen können.

Spezifisch Jüngeren kann der Austausch mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen helfen, Ängste vor Fehlern abzubauen, was ihre Eigenständigkeit und Problemlösekompetenz stärkt. Gleichzeitig gewinnen sie durch den Wissenstransfer neue Perspektiven und entwickeln häufig ein besseres Verständnis für die Situation und Herausforderungen älterer Kolleginnen und Kollegen. Dies trägt dazu bei, Vorurteile abzubauen und Diskriminierung zu reduzieren. Für viele junge Mitarbeitende bietet der Austausch auch die Gelegenheit, Führungsfähigkeiten zu entwickeln – etwa durch Ansätze wie Reverse Mentoring, bei dem Ältere von Jüngeren angeleitet werden.

Ältere Mitarbeitende hingegen profitieren besonders durch die Weiterentwicklung ihrer technologischen Fähigkeiten, was ihnen hilft, mit neuen Entwicklungen Schritt zu halten. Der Austausch ermöglicht es ihnen, sich weiterhin kompetent und eingebunden zu fühlen, was ein erfolgreiches Altern im Berufsleben unterstützt. Sie erleben diese Phase als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung, zur Stärkung ihres Wohlbefindens und zur Erhaltung ihrer beruflichen Zielstrebigkeit.

Auch auf zwischenmenschlicher Ebene zeigt der Wissensaustausch deutliche Vorteile. Er fördert den Aufbau von Beziehungen, die auf gegenseitiger Akzeptanz und Wertschätzung beruhen. Die gemeinsame Arbeit an Lösungen hilft, Barrieren abzubauen, schafft ein besseres Verständnis füreinander, und reduziert so mögliche Konflikte.

Von Hürden zu Hebeln: Was Organisationen beachten müssen, um Wissensaustausch erfolgreich gestalten können

Trotz der vielen Vorteile des Wissensaustauschs zwischen Jüngeren und Älteren geschieht dieser Prozess nicht immer automatisch. Aus der Forschung ergeben sich verschiedene Faktoren, die ihn entweder behindern oder gezielt fördern können. So können Altersunterschiede innerhalb der Belegschaft soziale Barrieren schaffen. Oft orientieren sich Mitarbeitende an Altersgruppen, was die produktive Zusammenarbeit behindern kann. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, ein solches Gruppendenken durch positive Berührungspunkte, etwa in Form von Workshops oder positiven Begegnungsräumen in gemeinsamen Projekten, bewusst aufzubrechen.

Ein weiterer Faktor sind die Rahmenbedingungen: Ältere Mitarbeitende erleben finanzielle Einschränkungen, hohe Arbeitsbelastung und wirtschaftlichen Druck häufig als Hindernisse, ihr Wissen weiterzugeben. Gleichzeitig beeinflusst die Unternehmensgröße die Art des Wissenstransfers. Während größere Organisationen oft strukturierte und formalisierte Prozesse bieten, setzen kleinere Betriebe stärker auf flexible, informelle Ansätze. Mittelgroße Unternehmen verbinden meist Elemente beider Welten. Diese Unterschiede verdeutlichen, dass keine universelle Lösung existiert. Stattdessen müssen Organisationen ihre Methoden an ihre spezifischen Ressourcen und Prozesse anpassen, um den Wissenstransfer effektiv zu gestalten.

Mentoring-Programme und andere gezielte Maßnahmen können den Austausch erleichtern, indem sie klare Strukturen und Freiräume schaffen. Gleichzeitig sollten Personalstrategien bedacht eingesetzt werden: Maßnahmen zur Unterstützung älterer Mitarbeitender können deren Selbstvertrauen stärken, aber bei Unsicherheiten auch Hemmungen auslösen.

Neben den strukturellen Aspekten spielt die Unternehmenskultur eine zentrale Rolle. Flache Hierarchien, ein von Vertrauen und Wertschätzung geprägtes Arbeitsklima sowie eine offene Fehlerkultur fördern den Wissenstransfer. Ein Umfeld, in dem Feedback willkommen ist und Lernen als gemeinsame Aufgabe wahrgenommen wird, schafft die Basis dafür, dass jüngere und ältere Mitarbeitende auf Augenhöhe voneinander profitieren können.

Fazit

Der voranschreitende Renteneintritt der „Babyboomer“ stellt Unternehmen vor die Aufgabe, Wissensmanagement strategisch zu gestalten. Doch diese Herausforderung birgt enorme Chancen. Der Austausch zwischen erfahrenen und jüngeren Mitarbeitenden ist kein einseitiger Prozess, sondern lebt von gegenseitigem Respekt und Offenheit. Unternehmen, die es schaffen, den Erfahrungsschatz älterer Mitarbeitender mit den frischen Impulsen der Jüngeren zu kombinieren, sichern nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit, sondern schaffen auch ein erfüllendes Arbeitsumfeld.

In einer Zeit, in der sich Wissen schneller verändert denn je, bleibt eines klar: Der Wissensaustausch zwischen Jüngeren und Älteren ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit – und eine große Chance, das Beste aus zwei Welten zu vereinen.

Laura Rinker

Laura Rinker ist Doktorandin an der Universität Hohenheim im Fachgebiet Wirtschafts- und Organisationspsychologie. In ihrer Forschung untersucht sie soziale Interaktionen am Arbeitsplatz und deren Einfluss auf den Wissensaustausch zwischen Kolleg_innen. Besonders interessiert sie sich für die Zusammenarbeit zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitenden und die Bedingungen, die einen effektiven Wissenstransfer begünstigen. Ziel ihrer Forschung ist es, organisationspsychologische Erkenntnisse zu generieren, die zur Förderung altersgruppenübergreifender Zusammenarbeit und nachhaltiger Wissensweitergabe in Unternehmen beitragen.

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